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Nach Schweden

Mittwoch, 24.6.1998: Rønne - Löderup, 36.9 km

Als erstes steuerten wir nach dem Frühstück den Fährhafen an. Zu der von uns gewünschten Zeit fuhr ein Schiff der ,,DFO``, und diese Tickets gibt es nicht am zentralen Schalter. Mit der Adresse des richtigen Büros im Kopf fuhren wir in die beschriebene Richtung und fanden auch gleich die bezeichnete Straße. Sie bestand hauptsächlich aus einem langen Bretterzaun. Das nächste Haus hatte einen Eingang, hinter dem sich tatsächlich ein paar Büros befanden -- die falschen, wie man uns erklärte. Wir fuhren an dem Bretterzaun zurück und fanden an seinem anderen Ende eine unscheinbare Baracke. Da es das einzige verbliebene Gebäude war, was man mit etwas gutem Willen dieser Straße zuordnen konnte, traten wir ein und tatsächlich, hier fühlte sich jemand für unser Anliegen zuständig, und wir verließen die Bude mit einem gültigen Ticket in der Hand.

Es blieb uns etwas Zeit, um Rønne anzusehen. Wir gelangten in die Altstadt, ein Gewirr von Gassen und Gäßchen, teilweise mit groben Feldsteinen gepflastert und flankiert von bunten Holzhäusern. Einige verbargen sich hinter Blumenkästen und Gärtchen, andere stellten die Pracht ihres neuen Anstrichs offen heraus. Viele Fenster waren von ihren Bewohnern liebevoll dekoriert worden. Insbesondere alte Kaffeekannen erfreuten sich wie schon in Neksø großer Beliebtheit.

Um die verbliebenen Kronen zu reduzieren, füllten wir unsere Vorräte auf und sorgten insbesondere für ausreichend Brot. Nun gab es nur noch einen unerfüllten Punkt auf der heimlichen Wunschliste für Bornholm: Wir wollten unbedingt Rote Grütze probieren.

Bornholm hat kulinarische Traditionen. Wir kannten inzwischen verschiedene Sorten Sild, hatten uns an den ,,Bornholmern`` sattgegessen, erlebten auch die unbedingt zu einem guten Essen gehörenden Roten Bete, doch die Rote Grütze, die den Abschluß eines Festmahls zu bilden hat, die fanden wir nicht. So studierten wir nun die Speisekarte der verschiedenen Restaurants, und tatsächlich -- gleich am Markt warb ein Gasthaus mit ,,Rød Grød``. Wir betraten einen leeren Saal mit vornehm eingedeckten Tischen. Mehrere Gläser standen an jedem Platz bereit, Stoffservietten hingen von einem Haken und der dicke Plüsch versprach bequemes Sitzen. Wir waren die ersten Gäste des Tages. Die junge Kellnerin nahm unseren Wunsch ohne Erstaunen entgegen: Es wäre völlig normal, daß hier Leute nur zum Grütze-Essen herkämen. Als wenige Minuten später zwei Teller an unseren Tisch gebracht wurden, verstanden wir auch, wieso. Diese Nachspeise ersetzte problemlos ein ganzes Hauptgericht, und sie schmeckte außerordentlich gut. Serviert wurde sie, wie es sich gehört, mit einem Kännchen süßer, ungeschlagener Sahne. Satt, zufrieden und glücklich verließen wir dieses feine Lokal.

Straßenszene in Ystad Am Kai wartete bereits die ,,Rügen`` auf uns, jenes Schiff, das uns schon nach Bornholm gebracht hatte. Nur wenige Passagiere fuhren mit. Das riesige Autodeck wurde nicht einmal zur Hälfte gefüllt, und man verzichtete sogar darauf, Restaurant und Bistro zu öffnen. Lediglich in der Cafeteria werkelten ein paar Angestellte hinter einem langweiligen Buffet. Der Wind vertrieb uns vom Oberdeck, und wir verbrachten die Überfahrt im Inneren kartenschreibend und lesend. Ein Fernseher versorgte uns mit Nachrichten aus der Heimat.

In Ystad führten uns ein paar Hinweisschilder sofort auf einer nur für Fahrräder durchlässigen Straße direkt ins Zentrum. Dort herrschte lebhaftes Treiben. Die Mittsommernacht war nicht lange vorüber, überall tummelten sich fröhliche Menschen, schlenderten umher, kauften ein oder saßen in einem der zahlreichen Cafes. In einem kleinen Park warb die schwedische Armee mit Feldbäckerei, Feldküche und einem Berg Werbematerial um Nachwuchs. Die Feuerwehr bot Stadtrundfahrten mit historischen Fahrzeugen an. Die Sonne strahlte in die Boulevards und Parks und wärmte die tobenden Kinder.

Nachdem wir uns sattgesehen hatten, wollten wir noch ein Stück weiterkommen. Wir rollten auf dem breiten Randstreifen der Fernverkehrsstraße durch endlose Garten- und Villenviertel nach Osten. Der Verkehr versickerte allmählich, und nachdem wir auf eine kleinere Küstenstraße einbiegen konnten, wurden entgegenkommende oder überholende Autos zur Ausnahme. Nur eine kurze Rast unterbrach die Fahrt, dann hatten wir mit Kåseberga auch das Königsgrab ,,Ales Stenar`` erreicht. Plötzlich gab es auch wieder touristische Wegweiser: Autos wurden auf einen Parkplatz am Ortseingang gelenkt, Fahrräder fanden zwei Kilometer weiter einen geeigneten Platz. Ein schmaler, steiler Sandweg führte weiter, und nach einigen Kurven standen wir vor den 57 aufrechten Felsblöcken, die auf einem Hügel die Form eines Schiffes nachbildeten. Vor dem dunklen Meer, über dem die Sonne gerade ihre letzten Strahlen auf einige dahinziehende Wolken verteilte, verbreiteten die uralten Steine eine mystische Stimmung. Beeindruckt gingen wir den Weg zurück. Doch bevor wir die Räder erreichten, bogen wir zum Hafen ab, denn dort lockte das Schild einer Fischräucherei. Leider empfingen uns geschlossene Fensterläden und Türen. Wir konnten uns lebhaft vorstellen, wie romantisch es gewesen wäre, hier, vor der Kulisse der kleinen Fischerboote und stolzen Yachten, ein Abendessen aus frisch geräuchertem Lachs zu genießen. So aber stiegen wir ohne Fisch den Hang zu unseren Rädern hinauf und fuhren weiter.

Der Abzweig nach Löderups Strandbad kündigte unseren angestrebten Campingplatz an. Zeitgleich mit uns erreichten zwei andere deutsche Radwanderer die Rezeption. Wir freuten uns, daß wir in dieser Gegend offenbar doch häufiger mit Begegnungen von Gleichgesinnten rechnen konnten. Doch diese Freude wurde schnell gedämpft -- für die anderen war es nach fast drei Wochen Urlaub die erste Begegnung dieser Art.

Wir kauften wie auch schon in Dänemark einen schwedischen Campingausweis. Die Bestrebungen, einen international gültigen Ausweis zu schaffen, sind vorerst gescheitert, weil einige Autovermieter, vor allem in Deutschland, ihre Fahrzeuge samt Campingausweis vermieten und den Namen einfach auf einem Stück Folie austauschen. Da der Ausweis aber eine Versicherung beinhaltet und daher personenbezogen ist, können das die schwedischen Plätze nicht tolerieren, und so gibt es eben einen eigenen schwedischen Ausweis. Für unsere lange Reise durch Schweden erschienen uns die 40 Kronen nicht zu teuer, zumal wir auf den Plätzen durch ein vereinheitlichtes Abrechnungssystem mit diesem Ausweis sehr schnell abgefertigt werden konnten. Wer nur eine Nacht in Schweden nächtigt, wird sich aber sicher an der zusätzlichen Gebühr stören.

Der Platz zählt im Rückblick zu den schönsten unserer Reise -- und nebenbei auch zu den billigsten. Locker verstreut standen die Zelte im Wald, man schaute vor allem auf Bäume und nicht auf die Leinwand oder die Autoreifen der Nachbarn. Über dem Eingang einer kleinen offenen Kochnische hatte sich ein Schwalbenpaar ein Nest gebaut. Langeweile, wie sie auftreten kann, wenn das Teewasser nicht kochen will, gab es hier nicht. Unermüdlich stopften die Schwalbeneltern die riesigen gelben Schnäbel ihrer Jungen. Waren Menschen in der Küche, verhielten sich die Kleinen absolut ruhig, aber sobald auch nur ein Zwitschern von den Alten zu vernehmen war, begannen wilde Turbulenzen in dem kleinen Nest. Alle drängten sich nach vorn, und wenn eines der Jungen den besten Platz ganz vorn innehatte, so kletterten die anderen auf den Glücklichen und verdarben ihm so die Freude.

Wir beschlossen den Abend mit einem Spaziergang am Strand. Die Aufbauten weit draußen liegender Schiffe wurden von den letzten Sonnenstrahlen in rotes Licht getaucht. Am Horizont schimmerte dunkel Bornholm, und direkt vor uns klatschten hin und wieder einige vorwitzige Wellen laut in den Sand. Wir genossen die Einsamkeit und die Wärme des Abends und krochen erst gegen Mitternacht in unsere Schlafsäcke.



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Ralph Sontag, Hildegard Geisler