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Kulinarische Küstentour

Dienstag, 23.6.1998: Svaneke - Rønne (Bornholm), 71.0 km

Weil wir ordentliche Menschen sein wollten, folgten wir der Anweisung, in unserem Zimmer vor der Abreise Staub zu saugen. Am bezeichneten Ort fand Hildegard die Fragmente dreier Staubsauger vor, es gelang uns aber nicht, daraus ein funktionierendes Modell zusammenzusetzen. Auch das Personal scheiterte nach einigen Mühen an dieser Aufgabe. Wie genau nehmen es die Gäste eigentlich mit dem Regelwerk? Wir verließen jedenfalls nach einem opulenten Herbergs-Frühstück ein sauberes, aber nicht gesaugtes Zimmer. Trotz der vollen Mägen gelang es uns nicht, die nächste Räucherei in Årsdale einfach so zu passieren. Zu idyllisch war das weiße Haus, von dem aus man die Kutter im trüben Hafenwasser schaukeln sehen konnte. So fuhr ich neben Fotoapparat, Geld und vielen anderen Dingen auch noch zwei Heringe in meiner Lenkertasche spazieren.

Bornholmer Wir näherten uns Neksø, und hier verzichteten wir auf den Hafenbesuch, sondern wandten uns der Innenstadt zu. In manchen Karten findet man auch die Bezeichnung Nexø, denn Rechtschreibreformen kommen auch in anderen Ländern vor, und wie sich an diesem Beispiel zeigt, stoßen sie auch anderswo auf Widerstand. Am schnellsten lernt man die Geschichte der Stadt auf dem Brunnen am Markt: ,,Nexø wurde Stadt 1346, verbrannt von den Lübeckern 1510, geplündert von den Schweden 1645, große Hafenerweiterung 1879, bombardiert von den Russen 1945, Brunnen geschenkt von der Sparkasse 1946.`` Vielleicht wollte Schweden die dreihundert Jahre alten Schäden wiedergutmachen, als es 1945 der Stadt 75 Holzhäuser schenkte, die einen den Grundstock für das heute wieder so einladende Stadtbild schufen. Wir versorgten uns in einer Konditorei und genossen auf dem Marktplatz das geruhsame kleinstädtische Treiben.

Weiter folgten wir der Ostküste nach Süden. Bornholm ist eigentlich zu klein für Reiseradler, denn jeder Punkt der Insel kann in weniger als einer Tagestour erreicht werden. Urlaube mit Kindern, die die Tagesstrecken beschränken und auch regelmäßige Abwechslungen wünschen, lassen sich hier aber ideal verleben. So genossen auch wir die vielen Gründe zum Anhalten und stoppten erneut in Snogebæk -- natürlich an der Räucherei. Diese verstand es, mit einem Buffet zu locken, aber erst ab 12.00 Uhr. So blieb uns etwas Zeit, den Glasbläsern in unmittelbarer Nachbarschaft zuzuschauen. Anders als für Räuchereien sind die Radtouristen für Glasbläser ein undankbares Publikum, denn wir können von den herrlichen Waren kaum etwas transportieren, nur die anstrengende Arbeit in dem glühenden Wind vor dem Schmelzofen bewundern.

Pünktlich um Zwölf nahmen wir das erstaunlich preiswerte Buffet in Augenschein und beschlossen, mit einer Auswahl diverser Sorten Sild zu beginnen. Als wir die Getränke bezahlten, relativierten sich die Kosten von ,,sehr preiswert`` zu ,,preiswert``. Natürlich fällten wir unser Urteil aus der Sicht hungriger Radwanderer, die problemlos mehrfach den Weg zu den Fischplatten antreten können. Dem Sild folgten verschiedene Räucherfische, teils warm, teils gekühlt, einige Dutzend Krabben und zwischendurch Rote Bete und Salate. Wir ließen uns Zeit, aber nach 1½ Stunden konnten unsere Mägen nichts mehr aufnehmen.

Weiter führte uns der Weg an die Südküste. Nach einer kleinen Pause an einer kleinen, kürzlich restaurierten Wassermühle wandten wir uns zurück ins Innere nach Åkirkeby. Diese hafenlose Stadt hat es schwer, Touristen anzuziehen. Auch wir verweilten nur kurz auf dem Markt, wo wir uns mit frischer Milch aus der Kaufhalle und Erdbeeren, die kurz zuvor am Wegesrand angeboten wurden, erfrischten.

Vor die Wahl zwischen direktem und indirektem Weg gestellt, entschieden wir uns für die längere Strecke, um einen Eindruck von Almindingen zu erhaschen. Die Straßen am Rand dieses großen Waldes werden von kleinen Steinmauern gesäumt. Wir verdanken die gewaltige Leistung einem Forstmann, dem es dadurch gelang, die jungen Bäume vor den Schafen und Schweinen zu schützen, die die Bauern früher im Gehölz weiden ließen. Was damals zu ziemlich heftigen Reaktionen geführt haben muß, beschert uns heute einen der schönsten Wälder Dänemarks.

Nach einer kleinen Irritation -- manchmal sind Karten genauer als nötig -- gelangten wir auf den richtigen Weg und rollten an Seen und Lichtungen, alten Steingräbern und herrlichen Aussichten vorüber nach Westen. Nachdem wir wir wieder freies Land erreicht hatten, durchquerten wir einige Felder und statteten noch Knudsker einen Besuch ab, jener Kirche, in der Hildegards Oma getauft wurde und heiratete. In die Friedhofsmauer waren in regelmäßigen Abständen große Ringe eingelassen. Ob daran früher die Pferde angebunden wurden? Heute standen davor einige Fahrradständer, was zumindest konsequent wäre.

In Rønne wandten wir uns dem nördlichen Campingplatz zu, weil der Flugplatz im Süden uns keine ruhige Nacht zu garantieren schien. In Hasle war es schöner, doch wollten wir am nächsten Tag nicht zu viel Zeit für die Anfahrt zur Fähre verlieren. Nach dem Abendbrot spazierten wir an das Meer, das hier unterhalb einer Steilküste liegt. Es war Johannistag, und an mehreren Stellen zogen kleine Gruppen von Dänen an den Strand, große Puppen aus Stroh und Lumpen mit sich zerrend. Die alte Tradition der Hexenverbrennung lebt also noch! Kaum war die Sonne atemberaubend schön im Meer versunken, entflammten an der ganzen Bucht kleine Lichter, Lagerfeuer, die mehr oder weniger rasch an Größe gewannen. Unter dem Gejauchze der Kinder versanken die Strohhexen in den Flammen und waren in Sekundenschnelle verglüht. Die Feuer wurden kleiner, schließlich blieben nur noch Gluthaufen übrig. Wir wandten uns unserem Zelt zu und waren bald eingeschlafen.



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Ralph Sontag, Hildegard Geisler