Die neue, luftgefüllte Isomatte machte es leicht, den Gedanken ans Aufstehen träumend zu verdrängen. Erst gegen Zehn suchten wir die Zutaten für unser Frühstück zusammen. Um Zehn öffnen doch auch die Räuchereien -- vielleicht könnte ich jetzt einen Fisch holen? Im Nu war ich auf dem Rad und unterwegs, und tatsächlich -- die Türen standen offen und einige Menschen arbeiteten an den Öfen. Freudig stürzte ich hinein, doch nur um zu erfahren, daß die frischen Fische erst in einer Stunde zu erwarten seien. So frühstückten wir ,,normal`` und begannen, in aller Ruhe das Zelt zusammenzupacken.
Ein- und Auspacken müssen auf jeder Reise neu geübt werden. Was zu Hause eilig in die Taschen gestopft wurde, erweist sich auf der Tour als unpraktisch verstaut. Neue Utensilien lassen die Routine vergangener Jahre versagen. War früher das Portmonaie in der Gürteltasche, so mußte diesmal ein Platz in der Lenkertasche gefunden werden. Und warum muß ich erst den Beutel mit der frischen Wäsche in die nasse Wiese legen, bevor ich meinen Schlafsack erreiche? Nach einigen Tagen findet dann jedes Ding den richtigen Ort, Auf- und Abbau werden zur Minutensache und erstaunlicherweise entsteht in den einst so furchtbar vollen Packtaschen freier Raum. Der unerfahrene Reisende überlegt beunruhigt, was wohl verlorengegangen sein könnte. Ich hatte auf diesen Effekt gehofft -- schließlich wollte ich die voluminösen langen Sachen gegen kurze Hosen und T-Shirt eintauschen. Diesmal dauerte es also etwas länger, bis alle Taschen an den Rädern hingen, und als wir dann endlich starten konnten, waren auch die Fische fertig. Kaum aus dem Campingplatz heraus, bogen wir gleich wieder ab und standen wenige Minuten später vor der vertrauten Räucherei, die uns nun endlich mit offenen Toren, verführerischem Duft und einem prachtvollen Angebot noch warmen Räucherfisches erfreute. Bevor eine Gruppe alternativ reisender Amerikaner den Tresen stürmen konnte, hatten wir unsere Heringe erstanden und genossen das zarte, frische Fleisch.
Die Amerikaner reisten tatsächlich alternativ. Ein Park von Fahrrädern säumte den Weg vor den Häusern. Ob sie das Alternative zwei Stunden später auch noch so gut fanden, als wir unsere Capes übergezogen hatten und unter naßkalten Schauern die Hügel Bornholms erklommen? In einem Buswartehäuschen berieten wir die weitere Route, wandten uns etwas nach Norden und bogen in Østerlars nach Rågelundsgård ab, wo sich ,,Bornholms Middelaldercenter`` befinden sollte. Ein Wegweiser führte uns über einen Parkplatz auf einen matschigen Weg, an dessen Ende ein Bauwagen im Nieselregen stand: Die Kasse. Wir zahlten brav unseren Eintritt und fanden nach ein paar Schritten mittelalterliche Katen vor, in denen emsiges Treiben herrschte. In der Schmiede setzte eine Frau kleine Ringe zu einem Kettenhemd zusammen. Zwei Soldaten im Harnisch, gerüstet mit Speer und Bogen stiegen klirrend vom Berg hinab. Über einem kleinen Feuer köchelte in einem gewaltigen, schwarzen Eisenkessel Suppe vor sich hin. Ein Tag im Mittelalter -- wer will, kann diese Erfahrung selbst machen. Wir als exotische, aber tolerierte Besucher der Neuzeit wirkten etwas deplaziert. Unter den dünnen Capes begannen wir zu frösteln, während die anderen von ihren nassen Woll- und Filzjacken gewärmt wurden. In einer rauchig dunklen Hütte fanden wir Schutz und trafen den Schmied beim Essen. Fenster gab es damals nicht, jedenfalls nicht in den Bauernhäusern. Eine Luke im Dach für den Rauchabzug konnte bei starkem Regen zugeschoben werden. In dem düsteren Raum war nur zu erahnen, was die Schüssel den Essenden darbot. Der kalte Regen ließ uns bald wieder in das zwanzigste Jahrhundert flüchten. Auf dem Weg zum Ausgang kam uns ein stilecht in Fetzen gekleidetes Kind entgegen -- und aß ein so gar nicht mittelalterliches Kühltruhen-Eis.
Nach einigen Kilometern hörte der Regen auf. Wir folgten der Einladung eines kleinen Wegweisers in eine Querstraße. In den skandinavischen Ländern findet man vielerorts Hinweise auf Denkmäler, Naturbesonderheiten oder historische Stätten, meist durch das Quadrat mit den geringelten Ecken angekündigt. Diese Ausschilderung empfand ich durchweg als fair: Kleine Denkmäler werden nur in einem engen Umkreis angekündigt, so daß man einem Hinweis selten mehr als einen Kilometer folgen muß. Größere Attraktionen, die dann auch in den Reiseprospekten auftauchen, bekommen auch weiterführende Ausschilderungen. Diesmal mußten wir nur 100 m fahren und standen vor dem Louisenlund, einem Wäldchen mit über 50 Bautasteinen. Wer jemals Asterix-Comics gelesen hat, kennt Hinkelsteine. Bautasteine heißen offensichtlich die dänischen Versionen --- große, längliche Felsblöcke, die seit Jahrhunderten aufrecht in der Landschaft herumstehen. Die Steine wirkten zwischen den Bäumen wie ziellos herumirrende graugewandete Gespenster, die sich auf dem frischgemähten Rasen unwohl fühlen. Den Louisenlund schenkte Frederik VII. seiner späteren Gemahlin Gräfin Louise Danner. Könige machen merkwürdige Geschenke!
Als Svaneke, die östlichste Stadt Dänemarks, in Sicht kam, stand uns der Sinn nach etwas Warmem. Einer Werbetafel folgend, bog ich in eine Seitenstraße ab, und gleich darauf saßen wir in einer Konditorei, tranken heißen Kakao und probierten das vielfältige süße Gebäck. Die zweite Tasse verweigerte man uns -- Ladenschluß. Wir schlenderten ein wenig durch die Straßen des hübschen Städtchens, fanden auch die hiesige Räucherei, die aber nicht mit der von Hasle konkurrieren konnte und stürzten kurz vor Geschäftsschluß noch in den Supermarkt. Dänemark schließt seine Läden relativ zeitig, oftmals wird es schon nach 17.00 Uhr schwierig, etwas einzukaufen. Wir hatten Glück und überlegten nun gut versorgt, wo wir den Abend verbringen wollten. Wozu sollen wir gleich am Urlaubsanfang das Zelt naßregnen lassen, fragten wir uns und fuhren zum Vandrerhejm. Rasch hatten wir ein kleines Zimmer bezogen, ließen uns bei einer Flasche Wein in der gemütlichen Küche nieder und vertilgten die wohlschmeckenden Reste des Hasler Fisches.