Die Sonne heizte uns aus den Schlafsäcken, als die Kinder schon auf dem reizvollen kleinen Spielplatz des Campingplatzes ihre ersten Burgen errichtet hatten. Wir schwatzen noch etwas mit unseren Nachbarn Katrin und Matthias, die wir schon auf der Fähre kennengelernt hatten. Sie brachen nun auf, um irgendwo auf der Insel ihre Urlaubswoche zu verbringen. Wir beschlossen, unser Zelt stehen zu lassen - das einzige Mal in diesem Urlaub. Mit leichtem Gepäck folgten wir dem Radweg an der Küste und waren sehr froh über unsere Entscheidung. Der Versuch, den Weg so nahe wie möglich am Wasser zu führen, endet bei einer Steilküste zwangsläufig mit ständigen Berg- und Talfahrten, denn es gibt immer wieder Stellen, wo das Wasser den schmalen Streifen Land weggespült hat. Die Steigungen waren zwar kurz, aber steil und oft unübersichtlich.
Die roten Mauern der Festung Hammershus signalisierten uns: Pause! Wir ließen die Räder auf dem Fahrradparkplatz und erklommen über eine Hilfsbrücke den Hang zu den Mauerruinen. Der über 700 Jahre alte Bau wurde mehrfach belagert und zerstört. Die letzte Zerstörung begann 1743, als der Kommandant der Insel die Festung aufgab und die Steine als Baumaterial verkaufte. 1822 rettete man den Rest, indem man die Burg unter Denkmalsschutz stellte. Bornholm konnte sich so ein berühmtes Ausflugsziel bewahren. Auch uns faszinierte der Kontrast zwischen roten Steinen, blauem Himmel, weißen Wolken und grünen Wiesen. Tief unter uns schäumte das Meer über die Klippen, kreischende Möven schwebten über die ehemaligen Gänge und Zimmer des Herrschaftssitzes.
Wir rollten nach gebührender Bewunderung der ehemals so mächtigen Burg weiter nach Sandvig, dem nördlichsten Punkt Bornholms. Hier sollte ein Cousin von Hildegards Vater wohnen, und tatsächlich fanden wir sehr schnell das richtige Haus und wurden umgehend von Sven und Britta zum Kaffee eingeladen. Unter ihrem Hausfelsen, von dem aus man einen herrlichen Blick über das Meer bis nach Schweden hat, genossen wir Bornholmer Spezialitäten und tauschten die letzten Familienneuigkeiten aus.
Weiter fuhren wir an der Nordküste entlang durch Orte, denen man die Abhängigkeit vom Tourismus ansieht, bis uns ein Wegweiser auf das Dondal aufmerksam machte, ein Tal, das durch einen schönen Wasserfall zu locken verstand. Mehr als die Hälfte aller in Dänemark lebenden Pflanzen sollen hier zu finden sein. Zunächst stießen wir aber auf Unmengen von Nacktschnecken. Wir fuhren schon auf den Straßen Slalom um diese Tiere, hier jedoch war es mitunter schier unmöglich, Platz für unsere Füße zu finden. Die Wiesen an der Seite des Pfades sahen wie gekämmt aus, gerade so, als ob sie vor kurzem am Grunde eines Flusses gelegen haben. Der Wasserfall machte das, was man erwartete - er ließ Wasser fallen. Natürlich kannten wir aus Norwegen weitaus größere Fälle, doch der Anblick des zwischen Felsen und Bäumen herunterschäumenden Wassers war mehr als genug Lohn für den angenehmen Spaziergang. Wir turnten noch ein wenig herum und liefen dann zu unseren Rädern zurück.
Für den Rückweg quer über den Nordzipfel der Insel nutzten wir eine spezielle Fahrradroute auf einem alten Eisenbahndamm. Ungestört rollten wir auf ebener Strecke durch die Natur. Wir stellten aber später fest, daß auf den kleinen Straßen auch nicht viel Autoverkehr herrschte. In Nyker fotografierten wir eine der vier Rundkirchen Bornholms.
Bevor wir zum Zelt zurückkehrten, hatten wir noch ein spezielles Ziel. Hildegards Urgroßvater war Direktor der Klinkerfabrik in Hasle, und wir wollten sehen, was von den alten Gebäuden heute noch übrig war. Ein Schild am Straßenrand wies auf die Produktionsstätte der ,,Hasle-Klinker`` hin. Einsam und trostlos lagen die langgezogenen einstöckigen Gebäude im Wald. Wir bogen um eine Ecke und befanden uns urplötzlich zwischen einem Dutzend riesiger amerikanischer Autos und einer Gruppe Jugendlicher, die offenbar auf den ausgedehnten, planierten Lagerplätzen der alten Fabrik ihre Proberunden drehten. Sämtliche Augen richteten sich auf uns, als wir unsere Räder durch die wie breitgeklopft aussehenden Fahrzeuge steuerten. Leicht irritiert fuhren wir zum anderen Ende der Fabrik, wo Hügel aus Klinkerbruch zeigten, daß noch immer produziert wird, wenn auch bei weitem nicht mehr in dem Umfang früherer Jahre. Unser Transportmittel ließ die Idee, Erinnerungssteine mitzunehmen, umgehend sterben, und so steckten wir nur ein paar Bruchstücke von Fugensteinen ein, um die verschiedenen Materialsorten demonstrieren zu können.
Am Campingplatz angekommen, lud uns die Abendsonne zu einem Spaziergang ein. Wieder hatten die Räuchereien geschlossen, und wir zogen weiter zum Hafen. Die Fischkutter in der Abendsonne boten ein Bild für Reisekataloge. Auf einer Tafel über die Geschichte des Ortes sahen wir einige alte Bilder der Klinkerfabrik. Hasle ist kein Touristenort, aber ihm jegliche Attraktivität abzusprechen, wie es unser Reiseführer tut, wäre auch falsch.
Bis weit nach Mitternacht saß ich in der hellen Nacht vor dem Zelt und träumte vor mich hin.