Die Sonne überlegte gerade, ob sie ihre ersten Strahlen in den Kampf mit dem Chemnitzer Großstadtsmog schicken sollte, als wir unsere schwer bepackten Räder auf der vertrauten Straße zum Bahnhof steuerten. Es wäre nicht nötig gewesen, Reservezeiten einzuplanen. Die in vergangenen Urlauben oft geübten Handgriffe klappten, und so saßen wir über eine halbe Stunde vor der Abfahrt im Zug. Noch kreisten im Kopf die Gedanken um möglicherweise vergessene Dinge, doch bald schüttelte der über die Weichen schaukelnde Waggon alle Sorgen aus dem Kopf und wir begriffen: Endlich Urlaub!
Die vergangenen Wochen waren aufreibend und schön. Je näher unsere Hochzeit rückte, desto größer schien uns der noch zu bewältigende Berg an Aufgaben. Doch unsere Freunde halfen kräftig mit, und so konnten wir jetzt auf ein traumhaft schönes Fest zurückblicken. Eine Woche mußten wir danach noch arbeiten, aber nun lagen drei Wochen vor uns, in denen wir völlig unerreichbar die Aufregung abklingen lassen wollten.
Bald rollte der Zug durch Berlin, in Neustrelitz wechselten wir in einen Regionalexpreß und ab Stralsund trug uns eine Regionalbahn bis Saßnitz. Mit jeder Station auf dem Weg nach Norden wuchs der Anteil Urlauber in den Zügen. Eine Weile unterhielten wir uns mit einer älteren Dame aus Wien, die von ihren Ferien in Mecklenburg schwärmte. Irgendwann standen wir dann auf dem Saßnitzer Bahnhof.
Da die elektronischen Fahrpläne auch über die Fähren Bescheid wissen, ist es leicht, ein paar Züge herauszusuchen. Dachte ich. Bei meinen ersten Versuchen schlug mir das Programm unglaublich langwierige und merkwürdige Verbindungen nach Rønne vor. Die Strecke schien geradezu verknotet zu sein, denn es gibt eine Lücke zwischen Saßnitz und Saßnitz-Mukran! Was per Bahn zum Problem wurde, war für uns auf dem Fahrrad natürlich kinderleicht. Wir schwangen uns in die Sättel und rollten eine halbe Stunde später auf das Hafengelände. Riesige, menschenleere Anlagen, öde Betonstraßen und ein wolkenverhangener Himmel wollten unsere Urlaubsstimmung drücken. Ich ließ Hildegard an einem einsamen Parkplatz zurück und pirschte durch lange, plastik- und glasverkleidete Gänge eines modernen Gebäudes, bis ich überraschend an einem prospektbeladenen Tresen einer jungen Frau gegenüberstand. Schon wenige Minuten später zeigte ich Hildegard froh unser Fährticket und schlug vor, die verbleibende Zeit in der Kneipe zu verbringen, die kurz vor dem Hafen mit schmackhaften Fischgerichten lockte. Wir ließen uns in Erwartung eines gebratenen Zanders in der Gaststube nieder und hörten amüsiert einem Niederländer am Nebentisch zu, der mittels Funktelefon verschiedene Freunde anrief und erklärte, daß so ein richtiger niederländischer Stamppot weder hier noch in Polen zu bekommen sei und er immer irgendetwas anderes essen müsse. Wir wollten gern ,,etwas anderes`` essen. Der Wirt hatte uns zunächst in jene Gästekategorie eingeordnet, die die letzten Stunden vor der Abfahrt an ein Bier geklammert die Tische seiner Kneipe blockieren, wurde dann aber mit jeder Bestellung freundlicher. Wir verließen das Haus vollauf zufrieden -- die Werbung hatte nicht zu viel versprochen.
Vor der Fähre hatten sich inzwischen eine Anzahl PKWs in mehreren Spuren aufgestellt. Davor entdeckte ich einige Radwanderer. Wir schoben unsere Räder zwischen den Karossen ebenfalls nach vorn. Der Hochzeitshut auf Hildegards Gepäckträger, dessen weithin leuchtender Schleier die Art unserer Reise verkündete, erregte bei den Wartenden Aufsehen.
Pünktlich durften wir die Räder in den Bauch des Schiffes führen. Mit ein paar Stricken sicherten wir sie gegen Wegrollen und erklommen die steilen Stiegen. Sonne und kalter Wind lockten und trieben uns auf dem Aussichtsdeck herum. Wir stellten einmal mehr fest, daß sich die Duty-Free-Shops für uns nicht lohnen, weil wir einerseits diese Großpackungen gar nicht transportieren können, andererseits aber viele der Dinge in der nächsten Kaufhalle genauso billig erstehen können. Lediglich Raucher können ernsthaft sparen. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, als wir in Rønne anlegten und wenige Minuten später entlang der Bornholmer Küste nach Norden rollten.
Bornholm wollten wir mit Hilfe des Reiseführers ,,Radwandern auf Bornholm`` von Jan Scherping (Hayit Verlag, 1991) erforschen. Der wies uns auf den ,,Rubinsø`` hin, ein Ergebnis vergeblicher Versuche, Kohle abzubauen. Wir konnten Jan Scherping beipflichten - rubinfarben war der See nicht, aber trotzdem wunderschön, wie er in die weichen Farben abendlicher Sonne getaucht ruhig im Wald schimmerte. Ganz in der Nähe fanden wir den Smaragdsee, ebenfalls im Wald versteckt. Voller Vorfreude auf weitere Naturschönheiten der Insel erreichten wir den Campingplatz in Hasle. Wir stellten hastig unser Zelt auf und zogen mit unserem Abendessen an den Strand -- gerade noch rechtzeitig, die strahlende Scheibe berührte schon fast den Horizont. Die Romantik der im Meer untergehenden Sonne wäre vollkommen gewesen, hätte mich ein frischer Wind nicht frösteln lassen. Auf dem Rückweg zum Zelt versicherten wir uns, daß die berühmten Fischräuchereien auch wirklich schon geschlossen hatten. Es hätte ja sein können, ausnahmsweise, daß gerade heute ...? Bornholms geräucherte Heringe sind schließlich berühmt! Die kleinen Häuser mit den markanten, weißgekalkten eckigen Schornsteinen strömten zwar einen sehr verführerischen Duft aus, doch waren die entscheidenden Türen schon verschlossen. Nur durch das Fenster sahen wir Fische, die auf Stangen gefädelt auf uns warteten.