Wir verstauten unser Zelt im Kampf gegen den Wind und folgten erneut den Schildern des ,,Ginstledens`` die Küste entlang. Der Wind hatte sich über Nacht gedreht, wir mußten uns mehr anstrengen. Drei alte Damen kamen uns fröhlich winkend einen Hügel herauf entgegen geradelt. Manchmal schien es, als ob uns auch heute wieder ein Guß einweichen wollte. Doch die 28 Stunden seit dem letzten Regen waren noch nicht vorüber, und so fuhren wir frohgemut weiter. Tatsächlich zog die drohende Wolke dann gerade noch vorbei. Die Mittagszeit näherte sich, und wir bereiteten uns in einer Kaufhalle darauf vor. Wenig später führte ein Hinweis zum Badestrand, wo wir in einer sonnig-warmen Mulde ein ausgiebiges Mahl mit gebratenem Huhn, Joghurt, Brot, Schokolade und anderen leckeren Dingen hielten. Auf dem Meer versuchten Surfer, den Anweisungen eines Lehrers zu folgen und boten mal beeindruckende, mal erheiternde Leistungen.
Als die Wolken in dichterer Folge über den Himmel zogen, verließen wir den Strand und kamen nach Halmstadt. Auch diese Stadt lockt ihre Gäste in eine Fußgängerzone. Wir suchten und fanden eine geöffnete Bank, wo wir unsere Reisekasse auffüllen konnten. Recht bald brachen wir wieder auf und fuhren auf breiten Radwegen an Siedlungen aus den zwanziger Jahren vorüber. Derzeit werden diese Häuser wenig beachtet, aber in einigen Jahren dürfte auch diese Architektur Besucher anlocken. Bunt gefärbt bot die Reihe kleiner Steinbauten einen gelösten Anblick wohlsituierter Kleinbürgerlichkeit. Hinter uns rief uns jemand an. Hildegard hielt sich links, ich rechts, und zwischen uns schob sich eine Skaterin durch. Die junge Dame, wohl von ihrer Arbeit kommend, war schneller als wir unterwegs, weil wir an den Ampeln die Räder abbremsen und dann mühselig wieder beschleunigen mußten. Auf den breiten, gut asphaltierten Radwegen kommen die Inline-Skater schnell voran, und in Halmstadt erlebten wir, daß dieses Produkt vom Sportgerät zum Alltagsverkehrsmittel mutiert.
Tiefschwarze Wolken hatten sich zusammengezogen. Ein prüfender Blick auf die Karte zeigte: Wir müssen da drunter durch! Die dunklen Haufen schienen sich nicht von der Stelle rühren zu wollen. Wir sahen, wie sich ein Keil glasklarer Kaltluft von rechts unter die tiefhängenden Wolken schob. Eine Kaltfront, wie sie im Buche stand -- noch nie hatten wir die Theorie aus dem Geographieunterricht so deutlich verwirklicht gesehen.
Die Küstenlandschaft wurde jetzt von der E6 okkupiert. Selbst wenn man die Autobahn nicht sah, so hörte man doch den Lärm des Verkehrs. An einer Stelle führte der Radweg durch eine Autobahntankstelle, um anschließend eine Brücke gemeinsam mit der E6 zu nutzen. Am Wasser breiteten sich Ferienhäuser aus, die Ortsnamen endeten fast durchweg auf -strand. Kioske und Eiscafés waren so zahlreich, daß wir schließlich nicht widerstehen konnten und rasteten. Mit dem Ende von Halland endete auch der Ginstleden, und wir mußten uns wieder allein auf unsere Karte verlassen. Das wurde uns umgehend nahegebracht, als wir einem Hinweisschild folgten und plötzlich auf dem Sandstrand standen. Wir hatten einen winzigen, zugewachsenen Pfeil übersehen.
Båstad besitzt einen idyllischen Hafen und ein gemütliches Zentrum, aber offenbar keinen Campingplatz. Zumindest waren wir nicht bereit, das am Ortseingang liegende, von Häusern umgebene Areal für uns zu akzeptieren. Das in unserer Karte eingezeichnete Symbol dagegen wurde in der Praxis als Wohnmobilplatz ausgewiesen. Wir waren schon ein paar Kilometer aus der Stadt herausgefahren und begannen uns mit dem Gedanken anzufreunden, noch viel weiter fahren zu müssen, da sahen wir am Wasser ein einsames Zelt stehen. Wir prüften den Küstenstreifen und empfanden ihn als geeignet. Hildegard fuhr eine kleine Runde und stellte dabei fest, daß der Wohnmobilplatz durchaus auch kleine Zelte aufnimmt, doch wir hatten uns schon für die freie Natur entschieden und unser Zelt gerade noch in Sichtweite der anderen Camper aufgestellt. Der Kocher brutzelte bereits die Lachspastete, die der Vorsuppe folgen sollte. Den Abschluß bildete Tee mit Rum und dazu etwas Schokolade.
Über dem Meer zog sich ein weiteres Gewitter zusammen. Im Sonnenschein sitzend verfolgten wir, wie die Wolken immer dunkler wurden und schließlich die ersten Blitze zuckten. Mal matt leuchtend, mal als scharfgeschnittene Leuchtpfeile beleuchteten sie den Horizont. Plötzlich, um 22.17 Uhr, erschien in nordnordwestlicher Richtung ein Licht am Horizont, wurde schnell gleißend hell und verschwand dann langsam wieder. Das Ganze hatte gewiß nicht mehr als 10 Sekunden gedauert und war kurzzeitig das hellste Licht am Firmament. Wir schauten uns verwundert an. Was mag das wohl gewesen sein? Eine Bewegung war auf die große Entfernung nicht zu erkennen gewesen, und ob das Licht natürlichen oder künstlichen Ursprungs war, vermochten wir beide nicht zu beurteilen.
Wir versuchten, Blitze zu fotographieren. Es war dunkel genug, um 30 Sekunden belichten zu können -- der Rest war Lotterie. Wir zogen lauter Nieten. Keiner der Blitze wollte bei offener Blende niederfahren, sie warteten alle ab, bis der Verschluß wieder geschlossen war.
Inzwischen hatten uns die ersten Wolkenausläufer erreicht. Ich zurrte die Leinen nochmals fest, sammelte alle Taschen, Töpfe, Tücher, Lebensmittel und Ausrüstungsgegenstände ein und sicherte sie im Zelt. Die Räder wurden in einer Mulde gegeneinander gestellt und angebunden. Als die ersten Tropfen fielen, zogen wir uns zurück.
Schwer klopfte der Regen auf das Zelt. Das harte Pochen wurde zum Wirbeln, schließlich zum alles übertönenden Rauschen. Wie aus Eimern fiel der Regen über die Landschaft. Breite Ströme ergossen sich vom Zelt. Die Grasnarbe ließ das Wasser schnell im groben Kies versickern. Wir lauschten trocken und warm den Naturgewalten und schrien uns zu, daß wir mit dem Untergrund hier großes Glück gehabt haben. Erst spät in der Nacht, wir schliefen schon, ging der Wolkenbruch in sanfteren Regen über und hörte schließlich ganz auf.