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Auf dem Ginstleden

Montag, 6.7.1998: Åsa - Ugglarp, 101.5 km

Unter heftigen Windböen packten wir unser Zelt ein. Ringsum saßen die Urlauber hinter ihren Folienscheiben und schauen mißmutig in den bewölkten Himmel. Uns konnte das Wetter nichts anhaben, wir schwangen uns frohgemut in die Sättel und fuhren, nein wir rasten von einem kräftigen Rückenwind getrieben nach Süden los. Ein leichter Nieselregen setzte ein. Aha, deshalb waren die Leute so unlustig -- Badewetter wurde das heute wahrlich nicht. Der Regen wurde stärker. Wir parierten mit Capes und Stulpen für die Füße. Der Regen konnte mithalten. Schließlich goß es wie aus Eimern, wir fuhren geschützt unter unseren Planen ruhig weiter. Ein Reh stand mitten auf der Straße und schaute verwundert den beiden grünen Ungetümen entgegen, die da zwischen den Regenböen langsam heranrollten. Erst im letzten Moment sprang es zur Seite.

Mal nachlassend, mal stärker werdend gab und nahm uns der Regen Hoffnung auf besseres Fahrwetter. Allmählich kühlte die Luft ab, die nassen Hände begannen klamm zu werden. Wir näherten uns Varberg, eine gute Gelegenheit, in einer Gaststätte Schutz zu suchen. Hildegard war es recht, sie hatte hinter ihrer Brille genug zu tun, den Weg zu finden. Als wir im Zentrum die Räder stoppten, schüttelte ein Windstoß die Bäume aus. Der Wasserschwall ließ uns nicht lange suchen -- der ersten Tafel, die ein warmes Mittagessen verhieß, folgten wir. Diese Werbung hatte einen unmittelbaren Effekt.

Wir gerieten in eine kleine Selbstbedienungsgaststätte. Ein Rollstuhlfahrer versuchte gerade, etwas zu bestellen. Sein unbeholfenes Lallen ließ mich auch noch eine geistige Behinderung vermuten. Später merkte Hildegard im Gespräch mit ihm, daß er ein intelligenter Mann war, der als Spastiker seine Muskeln und damit auch seine Grimassen nicht kontrollieren konnte.

Eine Kreidetafel listete die Speisekarte auf: Ein Tagesmenue, bestehend aus Brot und Butter, Salat, Getränk, warmem Hauptgericht und Kaffee kostete umgerechnet etwa 13 DM. Da sage noch einer, daß Schweden teuer wäre! Wir ließen unsere Capes auf den Boden fallen, wo sich umgehend kleine Seen bildeten und holten uns unsere vollbeladenen Tabletts. Diesmal schmeckte mein Lett-Øl viel besser als beim ersten Versuch in Jönköping, sei es, weil mein Appetit größer war, sei es, weil diese Sorte wirklich besser gebraut wurde. Wir aßen ausgiebig und in Ruhe. Draußen liefen Leute mit Schirmen vorüber. Wir tranken unseren Kaffee und betrachteten die Pfützen auf der Straße. Wir tranken noch einen Kaffee und sahen Bindfäden vom Vordach regnen. Wir testeten die Desserts und schauten zwischendurch nach unseren tropfenden Rädern. Wir schrieben Postkarten und schauten seufzend in den Himmel. Schließlich faßten wir uns ein Herz und sammelten unsere feuchtklammen Capes ein. Der Regen war einem leichten Niesel gewichen. Wir schlenderten in die Stadt und schauten uns die Fußgängerzone an. Es war Glück, daß wir in die erstbeste Kneipe gestürzt waren, denn zwischen den zahlreichen Gaststätten wäre die Auswahl sonst schwer gefallen.

Die Wolken wurden dünner, der Niesel hörte auf und wir fuhren ein paar Hundert Meter zur Festung von Varberg, die, unmittelbar am Meer gelegen, ein beliebtes Ausflugsziel darstellt. Inzwischen hatte auch die Sonne ein Wolkenloch entdeckt und ließ die Tropfen in den nassen Wiesen funkeln. Das dunkle Meer neben den düsteren Mauern der alten Burg bot einen faszinierenden Kontrast. Wir wanderten einmal um das Gemäuer herum, packten die Capes endgültig ein und ließen uns auf den saubergespülten Wegen erneut von einem kräftigen Rückenwind nach Süden schieben. Locker pedalierend kamen wir zügig vorwärts und bemitleideten die Radwanderer, die ihre Räder mühsam in die Gegenrichtung bewegen mußten und weniger locker grüßten.

Landschaft an der Westküste

Die Westküste ist touristisch gut erschlossen. Ferienhaussiedlungen, Campingplätze, Dörfer wechseln sich ab, und neben den Hauptstraßen gibt es ein dichtes Wegenetz. Das Meer sorgt für abwechslungsreiche Ausblicke, und die größeren Städte haben genug Kneipen, Geschäfte und Museen, um auch Regentage ohne Langeweile zu überstehen. Vielerorts liegen Prospekte, die den Touristen mit Ideen füttern. Alle denkbaren Ausflugsziele werden erwähnt, vom Atomkraftwerk bis zum Naturreservat.

Die nächste Stadt auf unserem Weg war Falkenberg. Ich hatte mit einer Rast am Hafen geliebäugelt, aber die Altstadt war zu weit vom Meer entfernt. Wir sahen uns die alten Gassen und Märkte an. Nahezu jede Stadt, die wir besuchten, wirbt mit Häusern und Straßen aus vergangenen Jahrhunderten. Man spürt deutlich, daß sich Schweden über 180 Jahre aus allen Kriegen heraushalten konnte. An der Sparkasse lernten wir an einer Skulptur, daß das deutsche Sparschwein in Schweden einen Sparochsen als Partner hat. Um den Markt herum boten kostenlose bewachte Fahrradparkplätze ihre Dienste an. Wir ließen uns auf einer Parkbank nieder und genossen die Aussicht auf die Mündung des lachsreichen Flusses Ätran. Leider sahen wir keine Verkaufsstände oder Geschäfte, mein ungebrochener Appetit auf Räucherfisch wurde nicht gestillt. So begnügte ich mich mit einem Eis, bevor wir weiter nach Süden fuhren.

Sonnenuntergang bei Ugglarp

Am liebsten wollten wir auf einem kleinen, abgelegenen Platz zelten, so wie in der ersten Nacht in Schweden. Unsere Wahl fiel auf Ugglarp. Wir fuhren an Wiesen vorbei, auf denen die Umrisse eleganter Pferde im weichen Licht der Abendsonne hervortraten, durchquerten Wälder, in denen die Strahlenbüschel wie Schwerter zwischen den Baumkronen zur Erde fuhren, kämpften uns Hügel hinauf, wo sich über Wasserlachen zwischen Steinen Mücken tummelten und stießen schließlich in einer Bucht auf den gesuchten Platz. Auf einer frischgrünen Wiese standen die Zelte am Hang, vom Strand nur durch eine schmale Straße getrennt. Ein böiger Wind ließ die Zeltbahn flattern und forderte beim Aufbau alle vier Hände. Wir wollten den Abend genießen, sammelten flugs unsere Lebensmittel ein und fuhren mit den Rädern zur nächsten Klippe. Ein paar Felsen, durch einen meterbreiten Streifen Wasser vom Ufer getrennt, erschienen mir als idealer Rastplatz. Ich fragte Hildegard, ob sie mit auf die Insel fahren wollte. Sie, versunken ein Eiland vor der Bucht betrachtend, schaute mich entsetzt an. Nachdem wir uns auf eine gemeinsame Definition des Begriffes Insel geeinigt hatten, ließen wir uns auf den Felsen nieder. Immer größer, immer röter wurde die Sonne am Horizont. Weich flossen die Strahlen über dunkelgrünen Stein und ließen aufschäumende Gischt funkeln. Einzelne Möven schwebten ruhig über uns. Kaum war die Sonne verschwunden, zeigte der Wind seine ganze Kraft. Fröstelnd rollten wir zum Zeltplatz zurück und kuschelten uns in unsere wärmenden Schlafsäcke.



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Ralph Sontag, Hildegard Geisler