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Mühlsteine

Donnerstag, 2.7.1998: Mariestadt - Lidköping, 82.7 km

Wir fuhren ein wenig durch die steilen Gassen der Altstadt, kurvten einmal um den spätgotischen Turm, besichtigten den Hafen und schwenkten schließlich auf eine Fernverkehrsstraße nach Südosten ein. Etwas später bogen wir auf eine kleine Erdstraße ab, und statt toter Rehe sahen wir nun lebende Blindschleichen am Straßenrand. Unser Ziel waren die Grotten von Lugnåsberget, auf die uns das kleine Heftchen neugierig gemacht hatte. Vor 800 Jahren hatte man hier begonnen, Mühlsteine zu brechen. Ein steiler, gewundener Pfad führte uns zu einem kleinen Kiosk. Wir waren die einzigen Gäste, so wanderte die Führerin mit uns allein auf einem sumpfigen Weg zu den Felsen. Mit primitivsten Mitteln schlug man hier jahrhundertelang Kreise im passenden Durchmesser in den Stein, um dann mittels geschickt plazierter Keile den Stein loszubrechen und nachzubearbeiten. Als das Gestein an der Erdoberfläche nicht mehr ausreichte, begann man unter Tage weiterzuarbeiten. In den seit 1919 stillgelegten Grotten liegen Steine in verschiedenen Bearbeitungsstufen, man entdeckt aber auch Fossilien, die an den Wänden und der Decke freigelegt wurden. Das Gestein weist nur hier jene Konsistenz auf, die es für Mühlsteine geeignet macht. Das liegt an einer glücklichen Fügung in grauer Vorzeit, als die Eismassen genau jene Schichten beiseite schoben, die ein Eindringen von Wasser und damit Mineralien verhinderten. Die Qualität des Steines ist so gut, daß sogar Mühlen in Nordafrika Steine aus Lugnås holten.

Wir beschlossen die Führung mit einem Imbiß aus Kaffee und Kuchen gemeinsam mit unserer Führerin, die aus dem Nachbardorf stammt und mit diesem Ferienjob die Zeit bis zum Studium oder möglicherweise auch bis zu einem Reisejahr überbrückt.

Wenige Kilometer weiter stießen wir auf den alten Mühlsteinmarkt, der heute Steine verschiedener Dicke und unterschiedlicher Größe zur Schau stellt. Teils stehen sie ordentlich auf eine Achse gefädelt nebeneinander im Gras, teils liegen sie wild umher. Den Weg von den Grotten zu dieser Wiese säumen Fragmente und Bruchstücke. Bedenkt man, daß etwa zwölf Leute über zwei Wochen beschäftigt waren, um einen Stein zu brechen, so beschreibt der Name ,,Weg des Fluches`` recht harmlos die Empfindungen der Arbeiter, wenn so ein Koloß vom Wagen fiel und brach. Erst wenn er heil auf dem Mark ankam, gab es Geld.

Eine hügelige Straße öffnete den Blick über Felder und Wiesen. Das Ufer des Vännern war nahe, doch kaum einmal zu sehen. In Hällekis hätte die Fahrt zum Hafen oder Campingplatz einen Umweg bedeutet, also suchten wir einen anderen geeigneten Pausenplatz. Wir fanden ihn in der Nähe eines kleinen Friedhofs. Friedhöfe haben die angenehme Eigenschaft, über Wasserhähne zu verfügen. Die Fahrt macht mehr Vergnügen, wenn die Hände nach der Pause nicht kleben.

Wir erklommen den Kinnekulle, einen Tafelberg, doch glücklicherweise nicht bis zum Gipfel. Die Steigung in der Sonne war auch so anstrengend genug, fand ich. Besonders störte mich, daß wir langsamer als die Fliegen vorankamen. Ich fuhr hinter Hildegard und sammelte in meinem Schwarm alle diejenigen ein, die den Anschluß verloren hatten. ,,Bloß gut, daß Mücken noch langsamer unterwegs sind`` dachte ich. Die Fliegen waren lästig genug, und ich war heilfroh, als es wieder bergab ging und wir wieder allein unterwegs waren.

In einem Prospekt hatte ich von einem nachgebauten Wikingerschiff gelesen, welches in Blomberg beheimatet ist. Abwechselnde Hinweise auf den Hafen und die ,,Sigrid Storråda`` führten uns schnell zum Ziel, doch wer hätte gedacht, daß wir so weit oberhalb des Seeniveaus unterwegs waren? Den Gedanken an den Rückweg verdrängten wir erst einmal und bestaunten das über 23 Meter lange Schiff. Wir kamen mit einem Schweizer ins Gespräch, der seit einigen Jahren in Schweden lebt. Er erzählte, daß nur eine Toilette, Rettungsmittel und ein Motor dem Schiff beigegeben wurden, damit es heutigen Vorschriften genügt. Abgesehen von diesen äußerlich kaum sichtbaren Details können die maximal 45 Passagiere der ,,Sigrid Storråda`` sich 1000 Jahre zurückversetzt wähnen.

Wir nutzen die Chance und erfragten die Wetterprognosen. Die Prophezeiungen dieses Fast-Einheimischen klangen ausgezeichnet, doch erwies sich unsere simple empirische Regel auch in den folgenden Tagen als deutlich zuverlässiger: Alle 28 Stunden regnet es.

Wir erklommen den Berg zurück zu unserer Straße und erreichten binnen kurzem Lidköping. Diese Stadt verfügt über mehrere Campingplätze. Unsere Wahl führte uns auf einen Platz zwischen einer Straße und dem Seeufer. Auf giftgrünen, perfekt gemähten Wiesen wurden die Camper in ihre Parzellen kaserniert, wo sie wegen der vorüberfahrenden Autos keine rechte Ruhe fanden. Ein Fernseher in den Waschräumen und Musikbeschallung auf der Toilette hat nach meiner Auffassung nur wenig mit Camping zu tun. Da wurde die Perfektion ein wenig übertrieben.



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Ralph Sontag, Hildegard Geisler