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Zum Vätternsee

Montag, 29.6.1998: Sävsjö - Jönköping, 68.5 km

Lebhaftes Saubermachen um uns herum zeigte an, daß nicht nur wir den Regeln der Hüttenbenutzung folgten. Wir hatten an der Rezeption mehrere bedruckte Blätter und zwei Plastebeutel erhalten, von denen der eine für brennbares Material, der andere für den Restmüll bestimmt war. Unser brennbarer Abfall bestand hauptsächlich aus den Zetteln, die uns die Mülltrennung erklärten. Dafür war der Restmüll etwas umfangreicher, weil ich mich entschloß, Hildegards defekten Reifen nun endlich zurückzulassen. Auf einem Platz mit einem so perfekten Abfallsystem würde ich ihn doch sicher adäquat entsorgen können! So stand ich dann mit meinen beiden Tüten in einem Kreis von Müllcontainern, die alle durch Aufkleber für bestimmte Zwecke reserviert wurden. Obwohl ich zwei Gläser aus unserer Restmülltüte genestelt und in den Glascontainer befördert hatte, paßte der Reifen noch immer nicht hinein. Ich stopfte zunächst den Papierbeutel zu den andern halbleeren Papierbeuteln und studierte die Beschriftung der Container. Die Mengen sind nicht disjunkt, registrierte der Mathematiker in mir. Leider waren sie nicht nur nicht disjunkt, sondern sie überdeckten auch nicht die gesamte Menge möglichen Abfalls. Während ich zwischen verschiedenen Containern für die Gläser wählen konnte, paßte der Reifen in keine der Kategorien. Ich ließ ihn schließlich in einem bis dahin völlig leeren Behälter, dessen Aufschrift alte Fahrradreifen zumindest nicht gänzlich ausschloß. Mein Erlebnis war typisch für Schweden. Das Wohlstandsland versucht sein schlechtes Umweltgewissen durch exzessive Mülltrennung zu kaschieren. Nicht zufällig wurde hier der Tetrapack erfunden. Als 1975 die Einwegflaschen verboten wurden, kamen nicht etwa verstärkt Mehrwegflaschen auf, nein, Büchsen füllten die Regale. Weil Büchsen ein schlechtes Image anhaftet, wurde ein Pfandsystem für Büchsen eingeführt -- der Kunde hat ein reines Gewissen, und die Entsorgung geschieht hinter den Kulissen.

Wassermühle bei Sävsjo}

Wir wollten uns in unserem Urlaub nicht zu sehr mit solchen Gedanken belasten und richteten unsere Sinne wieder auf die traumhafte Natur. Frische Luft strömte in unsere Lungen. An dem Damm eines kleinen, angestauten Teiches klammerte sich eine Wassermühle fest. Sumpfland, in dem frischgestochener Torf trocknete, duftete modrig. Blaue, rote und gelbe Lupinen drängten sich am Wegesrand. Nur selten trafen wir einzelne Wanderer oder einen Bauern auf dem Weg zum Feld. Eigentlich stellen Reiseradler widersprüchliche Forderungen: Sie möchten in der Natur unterwegs sein, weit weg von jedem Verkehrslärm und die klare Luft genießen, benötigen dafür aber möglichst glatte ebene Wege und gute Karten. Wege entstehen aber nicht von allein. Wenn eine Straße Asphalt trägt, so hat das in der Regel einen Grund, nämlich den Bedarf, der sich normalerweise in einer Mindestnutzung manifestiert. Hier in Schweden schien diese einfache Regel nicht zu stimmen. Prachtvolle Straßen zogen sich durch die Wälder, und man konnte stundenlang fahren, ohne einem Menschen zu begegnen. Es sah aus, als ob ein Beschäftigungsprogramm für Straßenbauer den einzigen Grund für den Bau der Straßen abgibt.

Die Ausschilderung folgt der Bedeutung der Straßen, nicht dem Belag oder dem tatsächlichen Verkehr. Heute fuhren wir erstmalig auf Erdstraßen, von denen unser Reiseführer von 1989 sehr häufig schreibt. In den letzten Jahren müssen viele Kilometer asphaltiert worden sein. Die Erdstraßen ließen sich besser als erwartet befahren. Nur bei Nässe wurde die Oberfläche ein wenig weich. Der Reifen sank etwas ein, und dadurch stieg der Kraftaufwand enorm. Bei Trockenheit hingegen wird die Decke fest und griffig. Die Landschaft sah viel urwüchsiger aus, wenn kein schwarzer Asphalt von moderner Zivilisation zeugt.

In Tenhult war die Ruhe vorbei, eine Fernverkehrsstraße nahm uns auf. Ein Reigen toter Tiere sprach von der Verkehrsmenge und den hohen Geschwindigkeiten. Ein Reh im Straßengraben war schon von weitem zu riechen, Igel, Krähen und Hasen konnte man oftmals kaum noch erkennen.

Endlich konnten wir abbiegen. Ein Museum bei Rogberga, in irgendeinem Prospekt ganz klein angekündigt, hatte unser Interesse geweckt. In einem Schloßgarten standen die Werke eines Holzbildhauers, fast ausschließlich aus alten Eisenbahnschwellen zusammengefügt. Wenn ich an die vielen Kilometer zurückdenke, die wir auf alten Bahndämmen zurücklegten, so dürfte ausreichend Material bereitstehen. Auf einem hohen Mast thronte der ,,Fliegende Holländer`` neblig vor den grauen Wolken. Im Schilfdickicht erinnerte ein Schiffskadaver an die ,,Meuterei auf der Bounty``. Eine baumhohe Säule mit vielerlei Gesichtern, Ornamenten und Blumen war der Verwitterung ausgesetzt und soll durch ihre Vergänglichkeit an die immer schneller werdende Erosion durch sauren Regen, Abgase und Sonne mahnen.

Beeindruckt und begeistert fuhren wir weiter. Die letzten Kilometer ins Tal von Jönköping rasten wir auf einer weitgeschwungenen Abfahrt mit grandiosem Ausblick auf Stadt und See hinunter. Gutplazierte Wegweiser führten uns -- wir kamen ja auch auf der Fernverkehrsstraße -- schnell zum Campingplatz. Dieser Platz war höchstens durchschnittlich. Lediglich die Sauna, die ausnahmsweise sogar zu den für uns brauchbaren Zeiten geöffnet hatte, hob die Bewertung -- allerdings nur für mich, denn auf der Damenseite führte ein Defekt zu Maximaltemperaturen von 40 oder 50 Grad. Da kommen trainierte Saunagänger noch nicht ins Schwitzen! Hildegard erlebte, während sie die Sauna zu reparieren versuchte, wie eine andere Besucherin in weniger als einer halben Stunde den Waschraum mittels weggeworfener Taschentücher, Ohrtupfer und anderer Papiere in eine Müllhalde verwandelte. Bei solchen Gästen kann kein Platzverwalter für Ordnung garantieren!

Wir beschlossen, einen kleinen Abendspaziergang zu unternehmen. Leider einigten wir uns vorher nicht, was ,,klein`` heißt. Nach einer Wanderung von etwa neun Kilometern kannten wir den Yachthafen, eine geschlossene Fischräucherei, einen Park, die Strandpromenade, das Stadtzentrum und den Sonnenuntergang am Vätternsee.



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Ralph Sontag, Hildegard Geisler