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Heimkehr

Sonnabend, 11.7.1998: Trelleborg - Berlin, 25.0 km

Leises Klopfen weckte uns. Regen? Regen! An unserem letzten Tag in Schweden mußten wir unser Zelt naß einpacken! Der Regen hörte zwar kurzzeitig auf, doch reichte das nicht aus, den Stoff zu trocknen.

Wir hatten eine Fähre herausgesucht, die uns noch ein paar Stunden in Schweden zum Abschiednehmen ließ. Wir setzten uns in ein trockenes Café, aßen und tranken etwas und schrieben noch ein paar Postkarten. Dann war es Zeit, zum Kai zu radeln. Etwas Warten in einer Autoschlange, dann setzte sich auch die Kolonne auf unserer Fahrspur in Bewegung. Diesmal verlangte niemand von uns, das Rad auf die Fähre zu schieben. Dadurch begriff ich umgehend den Sinn dieser Schilder, als das Vorderrad auf dem nassen Metall wie auf Schmierseife wegglitt und ich das Rad nur mit Mühe abfangen konnte. Hildegard hatte gerade noch genug Platz, um vor dieser Stelle abzusteigen.

Den Katamaran hatten wir schnell erforscht, es gab nur eine Etage für uns. Wir nutzten die Zeit für ein ausgiebiges Essen, bei dem wir mit zwei Niederländern an unserem Tisch ins Gespräch kamen und wechselweise unsere Begeisterung über schwedische Landschaften austauschten. Bevor es langweilig zu werden begann, erreichten wir Rostock.

Wir kannten die Anlegestelle nicht und fuhren zunächst den anderen Fahrzeugen hinterher, bis uns ein Verbotsschild das Weiterfahren verbot. Rechts war Wasser, also fuhren wir nach links. Ein Wegweiser empfahl, nach Rostock rechts abzubiegen. Wir folgten ihm und standen ein paar Hundert Meter später auf der Autobahn. Lautstarkes Hupen hinter uns war wenig hilfreich und machte uns klar, daß wir wieder zu Hause waren. Glücklicherweise zweigte rechts eine Ausfahrt ab, an der zwar nichts von Rostock stand, die aber offenbar von der Autobahn wegführte. Wir gelangten in ein paar kleine Dörfer, und da wir keine Karte hatten und uns in der Gegend auch nicht so perfekt auskannten, fuhren wir nach Sonnenstand und Gefühl weiter. Wir stellten uns die Gedanken Radwanderer vor, die auf die werbenden Prospekte ,,Radfahren in Mecklenburg-Vorpommern`` hereinfallen, wie wir sie in Schweden an so vielen Campingplätzen liegen sahen. Die dürften ihr Urlaubsland schon nach den ersten Kilometern satt haben.

Mit etwas Glück gelangten wir ohne große Umwege nach Rostock hinein. ,,Am alten Güterbahnhof`` begeisterte uns ein Haus, das von Hundertwasser entworfen zu sein schien. Ein Bewohner kam heraus, sah den Fotoapparat und winkte bloß ab: ,,Hier kommen ständig Fernsehleute und Journalisten her.``

Im Hauptbahnhof suchten wir erst einmal eine Verbindung. Ich stellte mich am Auskunftsschalter an. Trotz des diskreten Abstandes konnte ich verfolgen, wie einer älteren Dame Zug um Zug herausgesucht wurde. Mein Verständnis sank, als die Beamte das Funktionsprinzip einer Drahtseilbahn zu erklären begann und die Lage der Bahnhöfe Erdmannsdorf und Augustusburg erläuterte. Nach einer halben Stunde war ich nicht der einzige Entnervte, uns die Wartenden begannen sich gegenseitig ihr Leid zu klagen. Endlich konnte ich mein Anliegen vorbringen, nur um zu erfahren, daß wir heute sowieso nicht mehr nach Chemnitz kommen, und nach Dresden auch nicht, weil Sonnabend ist. Da halfen uns auch die Extrazüge zur Love-Parade in Berlin nicht. Wir entschieden uns für eine Nacht in Berlin.

Hildegard wanderte zum Telefon, um unsere Freunde um Quartier zu bitten, ich paßte auf die Räder auf. Ein fremder Reiseradler sprach mich an: Ob ich wüßte, wo man Geld tauschen könne. Ich hatte keine spontane Idee und erkundigte mich, um welche Währung es ginge. ,,Um D-Mark.`` Nun, das überraschte mich nicht. Tiefere Nachforschungen ergaben: Er wollte niederländische Gulden gegen D-Mark tauschen. Der junge Niederländer kam aus Polen und hatte noch genau zehn Mark in der Tasche! Die Banken hatten geschlossen, und im Hotel wurde er abgewiesen: ,,Nur für Gäste des Hauses.`` Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie der elegante Portier sich einem unrasierten Radler gegenübersah, der aus dem Strumpf hundert Gulden nestelte und nach einer Wechselstube fragte. Hildegard kehrte unterdessen vom Telefon zurück, und wir wechselten ins Niederländische. Schließlich kramte ich meinen letzten 100-Mark-Schein heraus und ließ mir dafür 100 Gulden und die 10 DM geben, das entsprach dem offiziellen Kurs. Wir hatten bei unserer letzten Hollandreise alles ausgegeben, so kam die kleine Reserve zwar überraschend, aber gelegen. Der in Groningen wohnende Holländer war auch überrascht über die unkomplizierte Lösung. Er schimpfte noch etwas auf die deutschen Hotels und verabschiedete sich, froh, das Wochenende nicht darben zu müssen.

Wir eilten zum Zug, trugen aus Freundlichkeit gleich noch ein fremdes Rad die Treppen hinauf und fuhren im Abendsonnenschein nach Berlin. Die Stadt empfing uns mit einer Vielfalt erwartungsvoller, müder oder vergnügter Gestalten. Obwohl wegen der Love-Parade der Fahrrad-Transport in der S-Bahn untersagt war, sprach uns in den halbleeren Wagen niemand deswegen an. Wir erreichten unsere Freunde und wurden herzlich aufgenommen. Unser letztes Treffen lag nur vier Wochen zurück, doch seit der Hochzeit war so viel passiert, daß die Gespräche kein Ende fanden. Gegen drei Uhr morgens fielen uns die Augen zu und der Urlaub endete in Träumen von frischer Luft, schattigen Wäldern, ruhigen Stränden, freundlichen Autofahrern, brummenden Rasenmähern, süßem Brot und einem stets präsenten weißen Hut.


Chemnitz, am 31. August 1998



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Ralph Sontag, Hildegard Geisler