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Die Übersetzerin mit dem Stift

TUC-Absolventin Frances Blüml ist heute in Wien mit ihrem Unternehmen visuell.gedacht. selbstständig tätig und macht sich dafür die Kraft des visuellen Denkens zu Nutze

Frau Blüml, können Sie sich kurz vorstellen?

Gern. Ich habe 2006 meinen Abschluss an der TU Chemnitz in den Fächern Interkulturelle Kommunikation und Betriebswirtschaftslehre gemacht. Heute lebe ich mit meinem Partner und meiner Tochter in Wien und bin nach unterschiedlichen beruflichen Stationen mittlerweile selbstständig als Visualisiererin und Visual Facilitator tätig. Das heißt, ich bin eine Übersetzerin mit dem Stift. Mit einer Kombination aus einfachen, handgezeichneten Bildern und Text bringe ich gesprochene oder geschriebene Informationen visuell auf den Punkt. Aufgewachsen bin ich im Vogtland in der Nähe von Plauen und habe dort bis zum Beginn meines Studiums gelebt. Mein Studium und die erste Zeit danach haben mich immer wieder für längere Zeit ins Ausland geführt, nach Norwegen, Rumänien, Ecuador und in andere Länder Lateinamerikas.

Was verbinden Sie mit Chemnitz und der TU?

Das erste Mal bin ich für einen Besuch bei der Studienberatung nach Chemnitz gekommen und und habe mich dann entschieden an der TU zu studieren. Interkulturelle Kommunikation als Hauptfach gab es nur hier. Ich habe in Chemnitz eine sehr prägende und zugleich auch unbeschwerte Lebensphase verbracht. Mein Leben hat sich vor allem auf dem und um den Unicampus abgespielt – irgendwen hat man immer getroffen. Das hat für mich viel Lebensqualität ausgemacht – alles Wichtige in unmittelbarer Umgebung zu haben, Studienkolleginnen und Studienkollegen sowie Freunde ungeplant und absichtslos zu treffen und auch immer wieder neue Leute kennenzulernen.

Würden Sie mit heutigem Rückblick das gleiche Studium erneut wählen und warum?

Ja und nein. Ja, weil ich im Studium viele grundlegende Kompetenzen erlernt habe, die noch heute mein Arbeiten und Denken prägen, und weil ich die Flexibilität und die Wahlfreiheit, die mir das Studium gegeben hat, sehr geschätzt habe. Und ja, weil es mir den Anstoß gegeben hat, ins Ausland zu gehen und diese Zeiten eine großartige Erfahrung waren, die ich auf keinen Fall missen möchte. Nein deshalb, weil ich aus meiner heutigen Perspektive den geradlinigen Weg hin zu meinem jetzigen Berufsfeld wählen würde, also ein Studium der visuellen Kommunikation o.ä. in Kombination mit Organisationsentwicklung. Diese Perspektive habe ich heute deshalb, weil mein Weg so war – es bleibt also ein theoretisches Nein.  

Noch während Ihres Studiums hat es Sie ins Ausland verschlagen. Wie verlief Ihr Weg? Welche Entscheidungen haben Sie vorangebracht und gab es auch Rückschläge?

Nach Abschluss meines Studiums war ich ein Jahr lang an der TU Chemnitz an der Professur für Interkulturelle Kommunikation tätig sowie am Institut für Erwachsenenbildung. Ich stand vor der Frage, ob ich bleibe und eine Dissertation anstrebe oder gehe. Entschieden habe ich mich für ein halbes Jahr als Volontärin in Ecuador. Das war goldrichtig, denn ich wollte weg vom Schreibtisch und raus ins echte Leben und etwas Neues sehen. Nach meiner Rückkehr bin ich vorübergehend wieder bei meinen Eltern eingezogen, habe gejobbt und Bewerbungen geschrieben. Das war eine schwierige Übergangszeit. Zum Glück bekam ich sehr rasch eine Jobzusage an der Wirtschaftsuniversität in Wien, wo ich dann als Projektmanagerin im Qualitätsmanagement für Lehre tätig war und auch selbst unterrichtet habe. Ich bin also mit Sack und Pack nach Wien gezogen. Seitdem habe ich außerdem NGO-Projekte und Veranstaltungen zu den Themen Chancengleichheit und Diversität umgesetzt und war die letzten Jahre vor meiner Selbstständigkeit wieder in der Qualitätsentwicklung von Hochschulen tätig. Da hätte ich gern schon früher den Mut gehabt, die Selbstständigkeit zu wagen. Diese war ein ganz großer und wichtiger Schritt für mich Und: Ich bin damals eher zufällig nach Wien gekommen – da gab es eben den Job und es hat meiner Lebensphase entsprochen, diese Stadt zu entdecken. Was mich begleitet, ist ein gewisses emotionales Dilemma durch die Entfernung zu meiner Familie und in die alte Heimat. Zugleich eröffnet mir die Selbstständigkeit hier auch Möglichkeiten, so sind alte Verbindungen wieder aufgelebt und neue entstanden. .

Sie haben vor gut einem Jahr das Unternehmen visuell.gedacht. gegründet. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Visuell.gedacht. meint, die Kraft des visuellen Denkens zu nutzen, um Wissen und Ideen auf den Punkt zu bringen, denn unser Gehirn liebt Bilder. Es verarbeitet Bilder um ein Vielfaches schneller als Text und erinnert diese viel besser. Dieses visuelle Denken können wir uns beim Lernen, in der Wissensvermittlung und in der Zusammenarbeit zu Nutze machen. Durch Visualisierung kann ich komplexe Inhalte strukturiert und verständlich darstellen, das große Ganze sichtbar machen, langweilige Präsentationen und Meetings lebendig und merkbar gestalten, Verständnis und Kommunikation vertiefen. Dafür steht visuell.gedacht. Das großartige an Visualisierung ist, dass es eine Technik ist, die jede und jeder lernen und anwenden kann – denn wir alle haben in unserer Kindheit gezeichnet und die Grundlagen dafür. Sie sind nur allzu häufig von unseren Glaubenssätzen als Erwachsene wie ‚Ich kann nicht zeichnen‘ und ‚Kinderkram‘ verschüttet. In meinen Workshops vermittle ich den Teilnehmenden diese Technik für Flipchart-Gestaltung und visuelle Notizen. Außerdem begleite ich Veranstaltungen und Gruppen mit dem Stift live – als Visual Facilitator, wenn es eher darum geht, Prozesse zu begleiten, und als Graphic Recorderin, wenn es um die visuelle Dokumentation von Veranstaltungen geht.

Vor allem im Hinblick auf den Schritt in die Selbstständigkeit: woher kam Ihre Motivation bzw. Intension, neue Wege zu gehen?

Ich hatte schon lange den Wunsch, selbstständig zu arbeiten, wusste aber nie womit. Als ich in meiner Elternzeit mit dem Visualisieren anfing, habe ich sehr schnell gemerkt, dass mich das nicht mehr loslässt. In der Visualisierung verbinden sich viele Puzzleteile für mich: mein Background als Kommunikationswissenschaftlerin, der Wunsch, Dinge im Zusammenhang zu verstehen, und meine Erfahrung in konzeptionellen und methodisch-didaktischen Fragen – und natürlich die Leidenschaft fürs Visualisieren selbst. Mit dem Stift in der Hand bin ich viel öfter im Flow und das beflügelt und hilft auch, wenn grad mal nichts weitergeht. Und ich erlebe in der Arbeit den Unterschied, den es in Besprechungen, bei Veranstaltungen etc. macht – es gibt also eine große Resonanz darauf. Gleichzeitig war irgendwann der Leidensdruck in meinem vorherigen Job, vor allem das Gefühl auf der Stelle zu treten und nicht das zu machen, was ich sehr gut kann und gern tue, groß. Das letzte halbe Jahr bis zur Entscheidung fühlte sich für mich wie der ‚Schleudergang Waschmaschine‘ an. Letztendlich war dann klar, dass es schlimmer ist, es nicht probiert zu haben, als die Veränderung zu wagen und vielleicht auch zu scheitern. Gefühlt bin ich seitdem über mindestens tausend innerliche Hürden gesprungen, so dass Selbstständigkeit für mich auch ein großes Stück Persönlichkeitsentwicklung bedeutet.

Sie sind Mutter und nebenbei selbstständig tätig? Was raten Sie karriereorientierten Frauen bei der Familienplanung? Wie bekommen Sie Beruf und Familie unter einen Hut?

Ich bin Mutter und selbstständig – ohne nebenbei. Ich halte den Anspruch an Vereinbarkeit für ein unerreichbares Ziel, der vor allem uns Frauen viel Stress auferlegt. Es geht eben nicht alles perfekt unter einen Hut und schon gar nicht, wenn keine Großeltern in der Nähe sind und gute und auf Berufstätigkeit beider Elternteile ausgerichtete Kinderbetreuungsangebote noch immer zu wenig sind. Das ist auch schon mein erster Tipp: Weg vom Anspruch, alles zu schaffen und sich eingestehen, dass gut genug vollkommen ok ist – als Mutter, als Unternehmerin, als Partnerin, als Freundin. Ich kann nicht alles allein und perfekt schaffen – zumindest nicht ohne einen sehr hohen Preis für mich selbst. Zugegeben, das ist eine Frage der inneren Haltung, an der ich selbst tagtäglich übe. Für die Berufstätigkeit heißt das auch, sich nicht mit anderen zu vergleichen, deren Lebensumstände ganz andere sind, sondern sein eigenes Tempo zu gehen und zu sehen, was unter den eigenen Lebensumständen gerade machbar ist. Und: sich gegenseitig bestärken, wo immer es geht, anstatt auf andere Mütter zu zeigen und sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Der zweite wesentliche Punkt aus meiner Sicht ist der Rückhalt in der Partnerschaft. Mein Partner und ich arbeiten beide ungefähr gleich viel und teilen uns Kinderbetreuung und Haushalt. Das heißt auch, dass wir gemeinsam entscheiden, wer zu Hause beim kranken Kind bleibt, je nachdem, bei wem gerade etwas wichtig und dringend ist. Und: ich habe seinen vollen emotionalen Rückhalt, das zu tun, was mir wichtig ist. Also Augen auf bei der Partnerwahl und die Karten auf den Tisch legen, wie für beide Berufstätigkeit und Familie denkbar sind. Ohne Ehrlichkeit und Kompromisse geht es nicht.

Wofür begeistern Sie sich am meisten? Was war Ihr letztes großes Projekt?

Ich freue mich ganz besonders, wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende eines Workshops stolz zu mir sagen: ‚Ich habe heute Morgen nicht geglaubt, dass ich das kann!‘ Dann muss ich immer ein bisschen schmunzeln, denn so ging es mir am Anfang auch und ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass jede und jeder visualisieren lernen kann. Die Live-Dokumentation von Veranstaltungen mit Graphic Recording habe ich erst letztes Jahr begonnen und hätte kurz zuvor noch geglaubt, dass ich das nie machen werde. Es hat mich aus meiner Komfortzone herauskatapultiert. Das war erst sehr ungemütlich und gleichzeitig ist es im Rückblick, wenn man sich der Aufgabe gestellt hat, unglaublich bestärkend und sehr lehrreich.

Welche Tipps haben Sie für frische Absolventinnen und Absolventen für den Berufseinstieg?

Traut euch, das zu machen, wofür ihr brennt und wo es euch hinzieht! Wenn ihr das noch nicht gefunden habt, habt den Mut auszuprobieren und zu experimentieren!

(Die Fragen stellte Stephanie Höber, Alumni-Koordinatorin der TU Chemnitz.)

Mario Steinebach
07.05.2024

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