Ostfriesenbrief und Rotkäppchen
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Ostfriesische Mutter schreibt an Ihren Sohn:

Mein lieber Junge,

ich schreibe Dir diesen Brief ganz langsam, weil ich weiß, daß Du nicht schnell lesen kannst.
Wenn Du das nächste mal nach Hause kommst, wirst Du unsere Wohnung nicht wiedererkennen. Wir sind nämlich umgezogen. In der neuen Wohnung ist auch eine Waschmaschine. Ich tat 14 Hemden hinein, dann zog ich an der Kette. Die Hemden haben wir bis heute noch nicht wiedergefunden.
Es hat letzte Woche nur 7x geregnet. Erst 3 Tage, dann 4 Tage. Montag stürmte es so fest, daß unser Huhn 4x dasselbe Ei gelegt hat.
Vater hat nun endlich eine neue Arbeit gefunden. Er hat 500 Leute unter sich. Er muß den Rasen auf dem Bezirksfriedhof mähen.
Letzte Nacht ist Onkel Williy in einem Wiskyfaß ertrunken. Einige Männer haben versucht, ihm zu helfen. Er leistete heftigen Widerstand. Wir haben ihn verbrennen lassen. Es hat drei Tage gedauert, bis wir ihn wieder gelöscht haben.
Onkel Karl hat sich den Penis abgeschnitten. Beim Kauf eines Rasiermessers stand auf der Gebrauchanweisung: "Wenn stumpf, dann am Riemen abziehen".
Beim Geschlechtsverkehr ist Onkel Fietje erstickt. Auf der Schachtel stand: "Präservativ stramm über den Kopf ziehen".
Deine Schwester Maria hat ein Baby bekommen. Da wir nocht nicht wissen ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, wissen wir nicht, ob Du nun Onkel oder Tante geworden bist.
Vor vierzehn Tagen ist in unserem Dorf ein großes Unglück passiert. Elf Männer sind beim Anschieben eines U-Bootes ertrunken.
Letzte Woche sind wir alle gegen Erdbeben geimpft worden.

Es grüßt Dich Deine Mutter

PS.: Ich wollte Dir noch Geld schicken, aber ich hatte den Brief schon zugeklebt.


Rotkäppchen - für Juristen erzählt

Es war einmal eine Minderjährige. Der Überlieferung nach im vorpubertären Alter. Die Eltern des Mädchens hatten ihr in Ausübung des ihnen gesetzlich eingräumten Namenbestimmungsrechts (§ 1627 Abs.1, 2 BGB) den Rufnamen Rotkäppchen gegeben, unbeanstandet vom Standesamt, das gemäß §§ 16, 17 des Personenstandsgesetzes nach gebundenem Ermessen hätte widersprechen können.

Rotkäppchen wurde von der Mutter beauftragt (§ 622 BGB), Kuchen und Wein zu der im Walde wohnenden kranken Großmutter zu bringen, ohne daß übermittelt ist, ob es sich dabei um die Großmutter väterlicher- oder mütterlicherseits handelte. Im Rahmen der Aufsichtspflicht (§ 832 BGB) erfolgte eine der nach herrschender Meinung ausreichende Belehrung vor den möglichen Gefahren des Weges. In ständiger Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, daß selbst bei einem 6jährigen Kind, soweit keine schädlichen Neigungen festgestellt werden, es ausreicht, vor den allgemein üblichen Gefahren einer Weggefährdung zu warnen, um alsdann das Kind unbewacht zu lassen; eine ständige Begleitung durch eine Aufsichtsperson wird nicht gefordert, ein ständiges Eingesperrtsein des Kindes in diesem Alter ist weder geboten noch aus erzieherischen Gründen erwünscht (VersR 1972, Seite 54)!

Entgegen dieser für ausreichend anzusehenden Belehrung ließ sich das Kind von einem der menschlichen Sprache mächtigen Wolf in ein Gespräch verwickeln und gab bei dieser Gelegenheit Informationen preis, die der Wolf arglistig zu seinem Vorteil ausnutzte. Die insoweit erfolgte Einlassung des Kindes hinsichtlich des Gesprächs mit dem Tier ist nicht zu widerlegen, zumal bekanntermaßen auch Loriot im Fernsehen einen sprechenden Hund vorführen konnte.

Die weiteren Angaben des Mädchens anläßlich seiner Vernehmung um die Vorkommnisse im Hause der Großmutter, daß nämlich der Wolf zunächst die Großmutter und alsdann nach einem etwas verfänglichem Gespräch auch Rotkäppchen bei lebendigem Leibe verschlungen habe, wurde indirekt durch die Zeugenaussage des Jägers bestätigt, der durch Aufschneiden des sich im Tiefschlaf befindlichen Wolfs die beiden Personen unverletzt befreite. Als Präjudiz kann auf den Propheten Jonas verwiesen werden, von dem in der Bibel überliefert ist, daß er zunächst von einem Fisch (Jonas 2,1) verschlungen und nach 3 Tagen - möglicherweise wegen Unbekömmlichkeit - wieder ausgespuckt wurde (Jonas 2,11).

Das Aufschneiden des Wolfs durch den Jäger ist tatbestandsmäßig als verbotene Vivisektion zu werten. Die mögliche Einlassung des Jägers, eine Tötung des Tieres - etwa durch Kopfschuß - sei wegen der gerade laufenden Schonzeit nicht zumutbar gewesen, wäre eine Schutzbehauptung und darum unbeachtlich. Wegen des vorhandenen Notstandes entfällt jedoch zumindest der Schuldvorwurf, was eine Bestrafung ausschließt (§ 35 StGB).

Dagegen ist der Jäger wegen Tierquälerei nach dem Tierschutzgesetz zu bestrafen, soweit er als Mittäter gemeinschaftlich handelnd (§ 25 Abs.2 StGB) mit der gleichfalls straffälligen Großmutter und dem noch nicht strafmündigem Rotkäppchen (§ 19 StGB) den aufgeschnittenen Wolf mit schweren Feldsteinen füllte und so den qualvollen Tod des Tieres herbeiführte. Die verwirkte Strafe wäre jedoch mit Rücksicht auf die zuvor erbrachte Hilfeleistung zur Bewährung auszusetzen.

Dem Vernehmen nach soll Rotkäppchen später mit dem Jäger die Ehe eingegangen sein, beide sollen die Großmutter zu sich genommen haben.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lügen sie noch heute.


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Chemnitz, den 24.06.1995